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31.03.2009

Neue Tarifmodelle müssen gefunden werden

Rede von Jörg Simon auf der Pressekonferenz zur wat 2009, der Wasser-fachlichen Aussprachetagung im Rahmen der Messe WASSER BERLIN

Auszüge aus der Rede. Es gilt das gesprochene Wort.

Ich möchte ein paar Bemerkungen zum Thema Wasserpreise machen. Wasserpreise sind ein Thema, das uns sehr beschäftigt, auch weil die gefühlte Wahrnehmung dieses Themas oft nicht in adäquatem Verhältnis zur Wahrnehmung der Leistungen der Wasser-Branche steht.

Wir haben in Deutschland - zugegeben - ein durch Reformen lösbares Problem, dessen Auslöser für viele in der Welt eigentlich eine gute Nachricht wäre: Der Wassergebrauch sinkt seit einem Vierteljahrhundert kontinuierlich, allein um rund 15 Prozent in den letzten 15 Jahren und in Berlin insgesamt sogar um die Hälfte seit der Wende. Während anfangs Produktionsverlagerungen und geschlossene Wasserkreisläufe in der Industrie prägend waren, ist es heute vor allem die bestehende Preisstruktur.
Während unsere Unternehmen durch ihre gigantische Infrastruktur vor allem aus Rohren und Kanälen rund 80 Prozent nicht beeinflussbare, also fixe Kosten haben, bildet die Preisstruktur das ganze Gegenteil davon ab. Denn der weit überwiegende Teil der Wasser- und Abwassertarife entfällt auf mengenabhängige Kubikmeterpreise. Die Grundpreise sind klein, mitunter fast homöopathisch.

Und weil, wie das Branchenbild des BDEW und auch unsere eigenen Kundenumfragen zeigen, fast niemand die tatsächlichen Tarife kennt, die meisten Menschen aber glauben, dass sie mehrfach höher als real sind, sparen die Leute Wasser. Und die bestehenden Tarifsysteme geben die Anreize dazu. Damit sind wir inzwischen schon mitten in einer gegenläufig wirkenden Spirale. Weil immer weniger durch die Leitungen fließt, müssen die Fixkosten auf immer weniger Kubikmeter umgelegt werden. Damit wird der einzelne Kubikmeter immer teuer und der Sparanreiz wieder größer.

Dass dabei Preise und tatsächliche Kosten zwei Paar Schuhe sind, wissen die wenigsten. Denn sinkende Mengen und steigende Preise kompensieren sich ein Stückweit gegenseitig.

Das heutige Preissystem lässt die Rechnung „hohe Mengen decken hohe Fixkosten“ zunehmend nicht mehr aufgehen. Denn langsam geraten einzelne Städte in eine prekäre Situation. In Hamburg ist die genutzte Wassermenge in den vergangenen Jahren um ein Viertel, in Berlin sogar um die Hälfte gesunken. Der Pro-Kopf-Gebrauch pro Tag liegt in Berlin inzwischen bei ca. 111 Litern, in Städten des Umlands bei 90 und weniger Litern.

Auf diese Änderungen müssen die Unternehmen reagieren, um die technischen und wirtschaftlichen Folgen in den Griff zu bekommen. Dabei ziehen zunehmend Arbeiten in den Alltag ein, an die vor 20 Jahren, als wir Wasserversorger vor allem Wassersparen gepredigt haben, noch kaum jemand gedacht hat.

Wir müssen immer häufiger den Leuten erklären, dass wir das gute Trinkwasser nicht aus den Rohren weglaufen lassen, sondern dass wir spülen, damit das gute Trinkwasser auch gut bleibt, also um der Gefahr von Braunwasser und Verkeimung vorzubeugen. Und in den Abwasserkanälen tun wir dasselbe, um Gerüche und Verstopfungen zu beseitigen. Gleichzeitig hat die halbierte Wasserförderung bei uns in Berlin dafür gesorgt, dass die Grundwasserspiegel wieder auf die Pegel gestiegen sind, die sie vor Beginn der Industrialisierung von gut 150 Jahren hatten, also auf ein natürliches Niveau. Das freut vielleicht Öko-Fundamentalisten, aber tausende Hausbesitzer ärgert das, denn sie haben feuchte oder gar nasse Keller. Und auch wir stehen dabei in der Pflicht, möglichst flächig mit vielen Werken zu fördern – was nicht eben die wirtschaftlichste Lösung ist – und auch gefördertes Wasser ungenutzt in die Spree zu pumpen.

Und schließlich gibt es immer häufiger auch die Forderung, die Netze kleiner zu dimensionieren. Das tun wir – wo nötig – im Rahmen der normalen Erneuerung. Und die liegt auch bei uns branchenüblich bei einem Prozent pro Jahr. Das bedeutet, dass es selbst bei einer Verdoppelung der entsprechenden Investitionen 50 Jahre dauern würde, bis dies komplett erledigt wäre. Und wir investieren bereits bei den heutigen ein Prozent rund 200 Mio. € jährlich in unsere Rohre und Kanäle. Eine deutliche Erhöhung würde die Preisspirale antreiben. Das will natürlich niemand.

Deshalb müssen wir zur Stabilisierung der Mengen nach Wegen suchen, die die Wasserkosten und nicht die Preise, unter denen ja landläufig die Kubikmeterpreise verstanden werden, in den Mittelpunkt rücken. Eine Möglichkeit ist die stärkere Ausgestaltung der Grundpreise, die in Deutschland etwa ein Viertel der Kosten ausmachen. Hier in Berlin – wir haben den Grundpreis erst Mitte 2007 wieder eingeführt – sind das im Moment lediglich 6 Prozent. Wenn die Grundpreise steigen, dann können die Mengepreise sinken. Wir haben das Anfang des Jahres gezeigt, indem wir den Mengenpreis für Trink- und Schmutzwasser um 7 Cent gesenkt und gleichzeitig die Grundpreise angehoben haben.

Ich wiederhole es noch mal, weil man uns an dieser Stelle gern missverstehen will. Wir sprechen von Stabilisierung der Mengen, nicht von Steigerung. Das ist schon allein auf Grund des Standes der Technik irreal. Aber das lange – bis vor einem dutzend Jahren auch von uns gepredigte Wassersparen – macht in unseren Breiten schon lange zumindest aus ökologischer Sicht keinen Sinn mehr. Berlin verfügt über qualitativ und quantitativ ausreichende Ressourcen. Und die werden selbst unter Berücksichtigung starker Klimawandel-Szenarien auch in den nächsten Jahrzehnten reichen, wie wir gemeinsam mit dem Berliner Senat für unser Wasserversorgungskonzept Berlin 2040 untersucht und bestätigt haben.

Die scheinbare Notwendigkeit des Wassersparens hat sich in den Köpfen der Bevölkerung festgesetzt. Sie ist ja auch lange und oft genug wiederholt worden. Dabei lagen dem in den 70er/80er Jahren zwei Fehler zugrunde. Erstens ging man noch bis Ende der 80er Jahre, als sich praktisch der Trend längst gedreht hatte, in der Politik von stark steigendem Wasserbedarf aus. Und zweitens wurde Wasser mit interkontinental handelbaren Energieträgern wie Strom, Öl und Gas gleichgesetzt. Das aber ist Wasser zum Glück nicht. Wasser ist immer lokal. Was wir hier sparen, hilft anderswo nicht. Das gilt für „richtiges“ Wasser. Beim virtuellen Wasser hilft dessen Einsparung hier natürlich dort, wo es als richtiges Wasser genutzt wird.

Und mit der Gleichsetzung zu Strom, Öl und Gas sprach auch alle Welt vom Wasserverbrauch. Was ich verbrauchen kann, ist danach weg. Also spare ich. Um dies zu stimulieren, wurden Wasserentnahmeentgelte eingeführt. Wir hier in Berlin haben mit 31 Cent das mit Abstand höchste von allen Bundesländern. Wenn es je eine steuernde Funktion hatte, dann die in eine Mengen-Preis-Spirale. Diese Öko-Steuer auf Wasser ist sogar unökologisch. Denn sie hat entscheidend mit dazu geführt, dass wir heute gegen die Natur arbeiten müssen, indem wir Wasser fördern und es ungenutzt wegschütten, um die Grundwasserspiegel zu senken.

Wir brauchen für die Zukunft Tarifmodelle, die die sinkenden Gebrauchsmengen auffangen, die von enormen Fixkosten geprägte Kostenstruktur widerspiegeln und die das Solidarprinzip unterstützen, also den Bau eigener Brunnen unattraktiv werden lassen. Das gilt vor allem für die das System stabilisierenden Großkunden. Bei der Diskussion dürfen Mengenrabatte keine Tabus sein. Umgekehrt müssen die künftigen Tarifmodelle natürlich auch eine ökologische Reißleine haben. Denn bei einer abzusehenden relativen „Knappheit“ in einer Region ist Stimulierung zum Gebrauch wenig sinnvoll.

Ich fordere abstrakt gesagt für die Zukunft dasselbe wie für heute: Die Wassertarifmodelle müssen in die jeweilige Zeit und zu den jeweiligen Bedingungen passen. Daher müssen die gesetzlichen Grundlagen mehr Flexibilität bei der Tarifgestaltung bieten.