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Der Kampf gegen Medikamente und Reinigungsmittel in der Kläranlage

Immer mehr Rückstände von Haushaltsreinigern oder Medikamenten landen im Abwasser. Damit diese nicht auch in der Natur landen, werden die Kläranlagen ausgestattet mit neuen Reinigungsstufen. Auch die Berliner Wasserbetriebe rüsten ihre Klärwerke auf. Warum und womit genau, erklärt Steffen Keller aus dem Bereich Abwasserentsorgung im Interview.

Herr Keller, was sind denn eigentlich die Stufen 1 bis 3 bei der Abwasserreinigung?

Steffen Keller: Die Stufe eins ist eigentlich die mechanische Reinigung zum einen mit dem klassischen Rechen, um grobe Stoffe rauszuholen. Anschließend der Sandfang, wo man die Fließgeschwindigkeit verringert, damit sich Sand und Kies absetzen können und schließlich die Vorklärung. Dort wird die Fließgeschwindigkeit weiter verringert, um den Primärschlamm bzw. Mischschlamm abzuscheiden.

Die zweite Stufe ist die biologische Reinigung, also der Hauptteil in einer Kläranlage. Dazu gehört unter anderem das Belebtschlamm-Verfahren. Dabei wird das Abwasser durch die Stoffwechsel-Aktivität von Mikroorganismen weitestgehend von organischen Verunreinigungen befreit.

Die dritte Stufe wäre die Nährstoffentfernung, das heißt Stickstoff- und Phosphorentfernung.

Jetzt errichten wir Anlagen zur weitergehenden Phosphorentfernung.

Genau, da gehen wir mit dem Phosphor-Wert nochmal über eine Zehnerpotenz runter. Wir haben jetzt je nach Kläranlage ein Milligramm oder 0,5 Milligramm je Liter einzuhalten für Phosphor. Zukünftig sollen wir als Jahres-Mittelwert 100 Mikrogramm je Liter einhalten, also 0,1 Milligramm je Liter Phosphor. Das geht zurück auf die EU-Wasserrahmenrichtlinie. Dadurch soll für alle Gewässer ein guter ökologischer Zustand erreicht werden. Die Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie sind immer auf Flusseinzugsgebiete bezogen und für die Länder Berlin und Brandenburg gibt es ein gemeinsames Nährstoffkonzept der Wasserbehörden für das Flusseinzugsgebiet Elbe, zu dem wir als Berlin und Umland gehören über den Zufluss der Spree in die Havel und danach in die Elbe. Dieses Nährstoffkonzept beider Länder sieht vor, dass die Kläranlagen der Größenklasse fünf mit einer weitergehenden Phosphorentfernung ausgerüstet werden, mit dem Ziel 100 Mikrogramm je Liter. Das wären neben den Kläranlagen der Berliner Wasserbetriebe und dem Klärwerk Wansdorf GmbH, das wir mit betreiben, noch die Anlagen in Cottbus, Potsdam-Nord und Brandenburg.

Dabei gibt es in verschiedenen Regionen Deutschlands Unterschiede, zu welcher Reinigungsstufe die gezählt wird?

Ja, in der Bundesrepublik wird die weitergehende Phosphorentfernung mit zur dritten Reinigungsstufe gezählt. Hier im Berliner Raum hat sich als Bezeichnung die vierte Reinigungsstufe eingeschlichen und woanders ist aber die vierte Stufe die Spurenstoff-Entfernung. Deswegen bin ich kein großer Fan von den Bezeichnungen dritte und vierte Reiningungsstufe.

Wie viel Prozent der Schadstoffe bekommen wir mit den Reinigungsstufen, die wir schon haben, eigentlich raus?

Also beim Stickstoff sind wir bei durchschnittlich weit über 80 Prozent, je nach Kläranlage zwischen 85 und 88 Prozent. Beim Phosphor sind wir bereits bei weit über 90 Prozent. Die zusätzliche Reinigungsstufe macht sich jetzt in den Prozentzahlen kaum noch bemerkbar. Aber für die Gewässer-Eutrophierung ist es schon bedeutend, diese Absenkung zu machen.

Was bedeutet Gewässer-Eutrophierung?

Die Gewässer brauchen Nährstoffe, also hauptsächlich Stickstoff und Phosphor, für das Wachstum von Algen, Wasserpflanzen usw.. Wenn man aber Phosphor limitieren kann, gibt es zum Beispiel nicht so viel Algenwachstum. Außerdem gibt es auch flache Seen, wo Stickstoff eine Rolle spielt. Wir gehen allerdings mit unseren Klärwerksabläufen in die Fließgewässer rein und dort spielt eben die Limitierung von Phosphor die größte Rolle.

Was bauen wir gerade?

Für die weitergehende Phosphorentfernung haben wir uns für das Verfahren der Flockungsfiltration entschieden. Im Vorfeld hat unsere Forschungsabteilung aber noch ziemlich viel Arbeit in zusätzliche Untersuchungen gesteckt, weil klassische Flockungsfiltrationsanlagen nicht so einen hohen Reinigungsanspruch haben, wie wir ihn jetzt benötigen. Dafür hat die Forschungsabteilung im Klärwerk Münchehofe sogar lange einen eigenen Versuchsfilter betrieben.

Und wie sind die Ergebnisse?

Wir haben ein Problem: Das sind refraktäre Phosphorverbindungen, also Phosphorverbindungen, die weder mit vermehrter biologischer Phosphorentfernung noch mit einer chemischen Fällung gut entfernt werden können. Diese Stoffe kommen zum Teil aus Industriechemikalien, aber auch aus Reinigungsmitteln, die wir im Haushalt verwenden. Die EU hat damals unter anderen Voraussetzungen die Entscheidung getroffen, dass in Reinigungsmitteln keine Phosphate mehr enthalten sein sollen, in Waschmittel schon relativ zeitig, die Mittel für die Spülmaschine kamen erst später dazu. Inzwischen haben die Hersteller zum Großteil die Phosphate durch Phosphonate und andere Phosphor-Verbindungen ersetzt. Das sind aber ausgerechnet refraktäre Verbindungen, das heißt, sie werden von Mikroorganismen und chemischer Fällung nicht gut entfernt. Die ursprünglichen Phosphate hätten wir in der Kläranlage ganz gut entfernen können. Auf die refraktäre Phosphorverbindungen haben wir aber auch in der Flockungsfiltration nur begrenzten Einfluss. Deswegen haben wir mit den beiden Wasserbehörden vereinbart, dass wir nach Inbetriebnahme der Flockungsfiltrationsanlagen einen zweijährigen Probebetrieb starten, um zu sehen, wie viel refraktärer Phosphor übrig bleibt, und ggf. das Ziel 100 Mikrogramm je Liter durch einen höheren Zielwert zu ersetzen. Der gelöste und der partikuläre Phosphor müssen dann aber weg sein.

Außerdem bauen wir auch Ozonungsanlagen.

Genau, die wird in Berlin manchmal als fünfte, woanders überall als vierte Reinigungsstufe bezeichnet. Die Ozonung ist ein Verfahren zur Entfernung oder Reduzierung von anthropogenen Spurenstoffen. Die anthropogenen Spurenstoffe sind zum größten Teil Arzneimittelrückstände oder deren Abbauprodukte. Im Klärwerk Schönerlinde haben wir uns, getrieben von den aktuellen Problemstoffen bei der Verfahrensauswahl zur Sicherstellung der Trinkwasserversorgung im Wasserwerk Tegel, für die Ozonung entschieden. Bereits seit 2016 betreiben wir in der OWATegel eine Pulver-Aktivkohle Anlage, die eine Spurenstoffentfernung in einem Teil des Ablaufs des Klärwerks Schönerlinde ermöglicht. Bis zu 2000 l/s, so eine große Anlage findet man nicht noch mal so schnell in der Bundesrepublik. Wir haben im Moment in Vorbereitung das Klärwerk Münchehofe als nächste Anlage vermutlich auch mit einer Ozonung auszurüsten, um die Trinkwasserversorgung im Wasserwerk Friedrichshagen sicherzustellen. Und wir haben als Berliner Wasserbetriebe eine eigene Spurenstoffstrategie, die vorsieht, dass wir alle unsere Klärwerke mit einer Spurenstoffentfernung zur Sicherung der Trinkwasserversorgung und natürlich auch zum Schutz der aquatischen Umwelt ausrüsten wollen.

Außerdem wird aktuell der Entwurf der Überarbeitung der EU-Kommunalabwasserrichtlinie diskutiert, die voraussichtlich dieses Jahr noch verabschiedet wird und anschließend in Kraft tritt. Dort ist ebenfalls vorgesehen, dass bis 2035 bzw. 2040 oder 2045 alle Kläranlagen, die eine bestimmte Größenordnung haben, mit einer Spurenstoffentfernung ausgerüstet werden müssen. Und wir denken, dass sich das in der Endfassung auch so wiederfinden wird.

Woher stammt der Großteil der Schadstoffe?

Zum einen sind es Industriechemikalien, Altlasten. Der größte Teil anthropogener Spurenstoffe sind aber Arzneimittel bzw. deren Abbauprodukte und Rückstände. Für die Trinkwasserversorgung ist im Moment Valsartan ein großes Problem. Das ist ein Medikament zur Behandlung von Bluthochdruck und stellt dann als Valsartansäure ein Problem im Trinkwasser dar. Des weiteren ist Oxipurinol, ein Medikament zur Gicht-Behandlung ein Problem. Die Pulver-Aktivkohle Anlage in der OWA Tegel wirkt ganz gut auf Oxipurinol, aber weniger gut auf Valsartansäure. Dafür wirkt die im Bau befindliche Ozonung in Schönerlinde künftig sehr gut auf die Valsartansäure und nur mäßig auf Oxipurinol.

Für die Ozonung benötigt man noch eine Nachbehandlung, um sicherzustellen, dass man nicht andere schädliche Stoffe, so genannte Transformationsprodukte, im Ablauf hat. Diese Nachbehandlung sollte biologisch oder kann auch physikalisch chemisch sein. Viele Entwicklungen werden wir aber erst nachher im Betrieb sehen, denn ob alles in der Skalierung von den Forschungsprojekten zur Großanlage genau so funktioniert, damit haben wir noch keine Erfahrung.

Ozonungen sind aber unter anderem bereits in NRW und Baden Württemberg im Einsatz?

Ja, aber es spielen viele Faktoren eine Rolle. Wir haben in der norddeutschen Tiefebene sehr hohe DOC-Werte. DOC steht für Dissolved Organic Carbon, also den gelösten organisch gebundenen Kohlenstoff. Dessen Werte sind bei uns aus geologischen Gründen relativ hoch. Ein großer Teil sind Huminstoffe und wir müssen zum Beispiel viel mehr Ozon einsetzen als in Süddeutschland oder auch als in Nordrhein-Westfalen, um DOC zu neutralisieren und praktisch eine gleiche Wirkung zu erreichen.

Wichtig für uns wird auch der geplante Ausstieg aus der Braunkohle in der Lausitz.

Richtig, weil wir davon abhängig sind, was über die Spree eingespeist wird. Wenn wir den Rückbau bzw die Außerbetriebnahme der Tagebaue haben, wird weniger Wasser in der Spree fließen und der Anteil gereinigten Abwassers wird dann in den Oberflächengewässern noch größer. 70 % unseres Trinkwassers ist vom gereinigten Abwasser beeinflusst als Uferfiltrat oder durch die Grundwasseranreicherung. Und damit sind größere Anstrengungen für die Maßnahmen notwendig, um die Wasserqualität zu sichern. Da gehört die Spurenstoffentfernung dazu.

Hauptkritikpunkt der neuen Anlagen ist, dass für eine geringe Reinigungsleistung ein hoher Energiebedarf nötig ist.

Ja, das ist so. Die ersten Prozente in der Abwasserreinigung bekommt man immer für wenig Geld raus und je höher der Anspruch wird, umso größer ist der Einsatz, den ich bringen muss in Hardware und Betriebsmittel, also zum Beispiel Flockungsmittel. Somit wird es immer teurer pro Kubikmeter.

Gibt es denn eigentlich schon eine fünfte Stufe?

Noch nicht wirklich. Eine Entwicklungsmöglichkeit könnte auch die Abwasserdesinfektion sein. Man darf sich jetzt aber nicht vorstellen, dass das Wasser völlig keimfrei nachher ist, sondern unter Abwasserdesinfektion versteht man, dass man die Keime unter eine bestimmte Höhe drückt. Als Kriterium wird die EU-Badegewässerrichtlinie herangezogen. Im Klärwerk Ruhleben bauen wir dafür im Moment eine UV Anlage. Wenn diese fertig ist, wird der gesamte Ablauf von Ruhleben darüber gehen. Das kann je nach Gewässer in Zukunft auch eine größere Rolle spielen. Wenn es um resistente Keime und Viren geht, kommen auch andere Verfahren in Frage. Je besser die Analytik wird, umso mehr Stoffe findet man, die man auch nachweisen und zuordnen kann.